Die Kunstgiesserei St.Gallen über Methodenvielfalt in der Schaffung von Kunstwerken
Die Kunstgiesserei St.Gallen ist eine Großwerkstatt, die plastische Kunstwerke produziert und restauriert. 1983 von Felix Lehner gegründet und seit 1994 in einer ehemaligen Färberei im Sittertal untergebracht, beschäftigt die Kunstgiesserei nun rund 80 Personen aus verschiedenen Berufsgattungen. Mittlerweile verfügt die Kunstgiesserei auch über einen Standort in Shanghai, welcher 2012 zur eigenständigen Tochtergesellschaft wurde. Die Kunstgiesserei St.Gallen bündelt Expertise über Herstellungsverfahren und Materialien und arbeitet mit renommierten Kunstschaffenden und Galerien rund um den Globus zusammen. Unter den praktizierten Verfahren befinden sich traditionelle Methoden, wie Wachsausschmelz-, Direktausbrand-, Sandguss- oder Schleudergussverfahren, aber auch moderne Technologien wie 3D-Druck.
Die Wahl, welche Techniken zum Einsatz kommen, richtet sich nach dem jeweiligen Werkstück und wird in Absprache mit den jeweiligen Künstlern, Künstlerinnen oder Auftraggebenden getroffen. So verarbeitet die Kunstgiesserei vielfältige Materialien, wie Keramik, Kunststoff, Glas, Metall und Holz mit den verschiedensten Herstellungsverfahren und erstellt so beeindruckende Kunstwerke. Wir wollten wissen, wie es der Kunstgiesserei St.Gallen gelingt, traditionelle Verfahren, Handwerk und 3D-Druck zu kombinieren, und welchen Mehrwert die additive Fertigung in der Kunstproduktion bietet. Dazu haben wir mit Andrea Rinaldi, Leiter 3D-Studio, gesprochen.
3DN: Könnten Sie sich kurz vorstellen und erzählen, wie Sie zu Ihrer Tätigkeit in der Kunstgiesserei St.Gallen gekommen sind?
Hallo, mein Name ist Andrea Rinaldi und ich arbeite als 3D-Spezialist in der Kunstgiesserei St.Gallen. Ich bin gelernter und studierter Industriedesigner und habe im Rahmen meines ersten Jobs als Modellbauer in Berlin Erfahrungen mit dem 3D-Druck gemacht. Auch später als Freiberufler habe ich mich mit der additiven Fertigung beschäftigt und mit Stereolithografie und SLS gearbeitet. Diese Technologien nutze ich auch heute noch gerne in der Kunstgiesserei.
3DN: Wie setzt ihr in der Kunstgiesserei St.Gallen den 3D-Druck ein?
Mein Team und ich arbeiten im 3D-Studio an der technischen Zeichnung, dem Modellieren, Digital Sculpting und der Druckvorbereitung. Die Kollegen und Kolleginnen in der Modellbauwerkstatt programmieren die Maschinen und setzen das digitale Modell physisch für den weiteren Prozess um. Der 3D-Druck erlaubt uns eine wichtige Umgestaltung in einer Gießerei. Er bietet uns die Möglichkeit, Projekte umzusetzen, die ohne 3D-Druck nicht machbar wären oder zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Wir nutzen zum Beispiel das gedruckte Gussmodell aus PMMA gleich wie das Wachsmodell im traditionellen Wachsausschmelzverfahren, eine 3000 Jahre alte Technik.
Das ist aber nicht immer der einzige Weg. Bei manchen Produktionen macht es durchaus Sinn, das gedruckte Modell mit Silikon abzuformen und eine Negativform für die weitere Verarbeitung herzustellen. Bei jedem Kunstwerk wird in enger Zusammenarbeit mit den Künstlern und Künstlerinnen das passende Verfahren erarbeitet.
Produktionen werden bei uns intern von einer Person mit Leitungsfunktion begleitet, die mit den jeweiligen Verantwortlichen der Werkstätten kooperieren. Außer mir als 3D-Spezialist sind Fachpersonen aus Metallbau, Gussmodellbau und Kunstguss sowie CNC-Bearbeitung und 3D-Druck von Anfang an involviert.
3DN: Welche Technologien und Materialien kommen dabei zum Einsatz?
Wir arbeiten mit verschiedenen Technologien und Materialien und verarbeiten auch Schaummaterialien. Häufig nutzen wir PMMA-Pulver und verarbeiten es im Binder Jetting-Verfahren, seit 2010 haben wir dafür einen Voxeljet-Drucker. Meistens drucken wir ein Kunstwerk in mehreren Schritten und nicht in einem Stück. Die Modellteile werden so im Voxeljet aus PMMA gedruckt, dann weiterverarbeitet, mit Wachs infiltriert. Im Anschluss wird das Modell in Schamotte eingepackt und die Schamottform im Ofen gehärtet. In diesem Schritt schwindet die Kunststofffüllung durch die hohe Hitze, sodass am Ende die Schamottform mit einem Hohlraum für den Metallguss übrigbleibt. Dieser Prozess erfolgt wie beim klassischen Wachsausschmelzverfahren, mit dem Unterschied, dass das Gussmodell in 3D gedruckt wurde.
Neben dem Voxeljet haben wir auch einen kleinen Harz-3D-Drucker, den wir ebenfalls zum Herstellen von Gussmodellen für das Wachsausschmelzverfahren nutzen. Dabei handelt es sich um einen DLP-Drucker und wir sind fleißig am Testen, da wir dadurch kleine und hochauflösende Teile mit sehr vielen Details herstellen können. Unter besonderen Umständen lassen wir Teile auch extern drucken, zum Beispiel große, transparente oder transluzente Objekte, da wir nicht über die nötige Infrastruktur vor Ort verfügen.
3DN: Können Sie uns erzählen, wie ein Auftragsteil mit 3D-Druck entsteht?
Unsere Aufträge kommen aus allen Ecken der Welt. Wir arbeiten sowohl mit renommierten Künstlern, Künstlerinnen und Galerien zusammen als auch mit solchen, die über weniger Marktpräsenz verfügen. Je nach Auftrag ist uns ein gewisser Zeitrahmen gegeben und oft auch ein definiertes Budget, das müssen wir stets im Hinterkopf behalten, denn auch eine Kunstgiesserei muss ökonomisch handeln in Bezug auf Zeit, Energie und Ressourcen.
Am häufigsten bekommen wir im 3D-Studio digitale Daten, die wir für die Produktion weiterverarbeiten und für den Herstellungsprozess aufbereiten. Es gibt aber auch Kunstschaffende, die ein analoges Arbeitsmodell erarbeiten, zum Beispiel aus Gips, das wir mittels 3D-Scan in Daten umwandeln. Unsere hochauflösenden Scanner erlauben uns, ein originalgetreues Exemplar zu fertigen, das kaum vom Original zu unterscheiden ist. Es kommt auch vor, dass ein Künstler oder eine Künstlerin mit einer Idee oder einer Skizze für eine Wettbewerbseingabe zu uns kommen und wir zusammen das digitale Modell erarbeiten.
Für mich persönlich ist das einer der schönsten Aspekte meines Berufs und auch die Kunstschaffenden schätzen dies sehr. Wir benutzen verschiedene 3D-Software, etwa Rhino und ZBrush.
Künstler, Künstlerinnen und Auftraggebende schreiben uns nicht vor, welche Technologie wir nutzen sollen. So kann es sein, dass bei einem Werk verschiedene Technologien zum Einsatz kommen. Ein Teil davon wird gedruckt, ein anderes gefräst, wieder ein anderes extern gefertigt etc. Der Zweck heiligt in diesem Fall die Mittel. Der 3D-Druck erlaubt uns allerdings mehr Flexibilität, mehr Möglichkeiten und einen flüssigen Prozess. Letztendlich richtet sich die gewählte Herstellungsmethode aber danach, worauf das Werk abzielt. Wenn ein Werk etwa sehr komplex ist, es über viele Details verfügt, die Auflösung wichtig ist und die Oberflächenbeschaffenheit sehr genau abgebildet werden muss, dann wird vorwiegend gedruckt. Handelt es sich allerdings um eine organische, schlichte Form, könnte man das Teil auch fräsen.
3DN: Wo liegen die Vorteile und Limits des 3D-Drucks in der Produktion von Kunstwerken?
Es gibt zahlreiche Vorteile, aber auch Nachteile. Ein großer Vorteil ist die geometrische Komplexität, die per 3D-Druck umgesetzt werden kann. Würde man ein solches Objekt auf herkömmliche Art herstellen, bräuchte es sehr viel Zeit und viele Zwischenschritte. Man muss für ein solches Objekt mehrere, voneinander getrennte Modelle als Vorlage erstellen. Ein solch komplexes Modell mit Löchern, Verästelungen etc. braucht viel Vorarbeit, viele verschiedene Formen und außerdem muss man berücksichtigen, dass das Modell aus Wachs irgendwie von der umhüllenden Form trennbar sein muss. Ein 3D-Drucker erspart die Zwischenschritte und verkürzt den Weg. Außerdem kann man auch filigrane Teile drucken und zum Beispiel zwei ineinander schließende Kettenglieder zusammenfügen.
Daneben gibt es auch Einschränkungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Beim Binder Jetting betrifft dies die Auflösung. Will man sehr kleine Teile mit scharfer Auflösung, ist Binder Jetting nicht die erste Wahl. Man sieht die grobe Oberfläche und bräuchte für feine, detailreiche Teile Harz. Auch das PMMA-Material ist mit Limits verbunden. Es ist sehr porös, wie ein Keks, und bricht leicht, daher ist es nicht beständig. Für das Ausschmelzverfahren ist es aber ideal, da es keine Ascherückstände in der Schamottform hinterlässt.
3DN: Haben Sie noch ein letztes Wort an unsere Leserschaft?
3D-Druck ist für mich kein Ausdrucksmittel für sich, sondern ein Werkzeug, um etwas zu schaffen. Die additive Fertigung kommt zusammen mit anderen Verfahren in einen großen Topf an Herstellungsmöglichkeiten. 3D-Druck ist schon längst keine Neuheit mehr und man muss auch realistisch bleiben, denn man kann nicht alles drucken. Wir arbeiten sowohl additiv als auch subtraktiv und haben großartige Handwerker im Unternehmen. Manchmal kommt man mit einem analogen Verfahren und einer guten Planung auch manchmal zum Ziel. Ich denke, es kommt zumindest in unserer Branche auf die Mischung an. Wir können die einzelnen Punkte der Herstellungsverfahren miteinander verbinden und Lücken schließen, das ist unverzichtbar. In der Kunst kommt man nicht ohne Handwerk aus. Und das macht unsere Arbeit auch so schön. Wir als 3D-Spezialisten und 3D-Spezialistinnen bringen eine gewisse Komplexität und eine Bandbreite an Möglichkeiten in ein Projekt ein, aber den letzten Schliff zum ästhetischen, originellen Gesamtwerk leisten oft unsere Handwerker und Handwerkerinnen. Ich denke, es ist ein großer Mehrwert bei uns in der Kunstgiesserei, dass wir viele Technologien miteinander verbinden können und so begabte Kunsthandwerker und Kunsthandwerkerinnen im Unternehmen haben.
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*Bildnachweise: Kunstgiesserei St.Gallen